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Archiv-Artikel

Erziehen und bestrafen

Der Deutsche Fußball-Bund will eine Task-Force gegen Gewalt in den Stadien installieren und bekennt sich zur Zusammenarbeit mit den Fanprojekten. Die fürchten sich vor allem vor mehr Repressalien

AUS BERLIN ANDREAS RÜTTENAUER

Er meint es ernst. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) Theo Zwanziger, lässt keinen Zweifel daran, dass er handeln will, um der Gewalt in Deutschlands Fußballstadien Herr zu werden. Gestern stellte er am Rande eines Grundsatzgesprächs mit Vertretern der Deutschen Fußball-Liga fest, „dass die Gewaltproblematik im deutschen Fußball nicht bewältigt ist“. Es wurde beschlossen, eine Task-Force einzurichten, deren Aufgabe es sein soll, das Geschehen in den Stadien zu beobachten und Aktionen zur Vermeidung von Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu initiieren. Außerdem soll ein hauptamtlicher Sicherheitsbeauftrager beim DFB angestellt werden. Die Sportgerichtsbarkeit ist angehalten, zeitnahe und pädagogisch wirksame Strafen gegen die Klubs mit auffälligem Anhang auszusprechen.

Torsten Rudolph beobachtet die Reaktionen des DFB auf die Vorfälle vom Wochenende, als es in Pforzheim, Berlin und Augsburg schwere Ausschreitungen gegeben hatte, mit Sorge. Er ist Fanbeauftragter des 1. FC Dynamo Dresden und kümmert sich als Leiter des Fanprojekts Dresden sozialarbeiterisch auch um die Fans, die zu Gewalttätigkeiten neigen. Es waren Anhänger aus Dresden, die sich am vergangenen Freitag nach dem Regionalligaspiel bei Hertha BSC II heftige Auseinandersetzungen mit Berliner Polizeibeamten geliefert hatten. Die Reaktionen des DFB und Zwanzigers auf die Prügelei von Berlin, bei der 38 Beteiligte, darunter 23 Beamte, verletzt wurden, findet Rudolph „hysterisch“. Immerhin dürfte er froh sein, dass sich der Fußball-Bund ausdrücklich zur Zusammenarbeit mit den Fanprojekten bekannt hat.

Am Samstag steht ein weiteres kritisches Spiel an. Union Berlin ist bei Dynamo zu Gast. Die Polizei ist vorgewarnt. Es gilt „Sicherheitsstufe eins“. Dennoch sagt Rudolph: „Man darf das alles nicht so hochreden.“ Wovor er vor allem Angst hat, ist die Ausweitung des Repressionsapparates. Noch mehr Polizei, noch mehr Kontrollen vor den Stadien würden nur heftige Gegenreaktionen auslösen. Natürlich kennt er die schwierigen Fälle in der Dynamo-Kurve. Aber er redet viel lieber von den Erfolgen seiner Arbeit. Als einige Dresdner Anhänger am Freitag Fans des ehemaligen Berliner DDR-Konkurrenten vom BFC Dynamo, die sich im Stadion aufgehalten haben, lauthals als „Juden Berlin“ bezeichnet haben, sei es zu so etwas wie einem Gegensprechchor („Nazis raus!“) gekommen. „Selbstreinigung ist auch in Dresden möglich“, sagt Rudolph.

Die Fanarbeit beim Drittligisten aus Sachsen steckt noch in den Kinderschuhen. Erst seit einem Jahr gibt es ein fest finanziertes Fanprojekt. Da Rudolph auch Fanbetreuer des Vereins ist, funktioniert immerhin der Dialog mit der Clubführung. Nach dem Radau von Berlin hat sich das Management allerdings in einer Art hinter die Fans gestellt, die selbst Rudolph problematisch findet. Statt die Polizei als alleine verantwortlich zu bezeichnen, wie es Dynamo-Geschäftsführer Volkmar Köster getan hat, hätte man in einen konstruktiven Dialog mit der Polizei eintreten können.

Auch in München, auf der Geschäftsstelle des TSV 1860, ist man sich sicher, dass die Polizei am Freitag in Augsburg unverantwortlich gehandelt habe und zumindest eine Mitschuld an den Exzessen rund um das Rosenaustadion trage. Jutta Schnell, Fanbetreuerin bei 1860, hält sich an die vom Verein vorgegebene Sprachregelung, nach der in Augsburg viele Fans im Stadion gewesen seien, die man schon lange nicht mehr im Umfeld des TSV gesehen habe. Sie ist als Fanbetreuerin zwar für den Dialog der organisierten Anhänger mit dem Club zuständig, mit den gewaltbereiten Rändern der Fanszene befasst sie sich allerdings nicht. „Dafür gibt es ja das Fanprojekt“, wehrt sie Fragen danach ab. Sie gibt zu, dass der Dialog mit der aus Steuermitteln und mit Geld der DFL finanzierten Einrichtung „manchmal durchaus besser sein könnte“.

So ähnlich geht es in vielen Bundesligavereinen zu. Während die Fanbetreuer, die für die Vereine arbeiten, sich um Besuche von Lizenzspielern bei den Weihnachtsfeiern der Fanclubs kümmern, wird die Arbeit mit den problematischen Anhängern zu den Fanprojekten ausgelagert. Der harte Kern habe deswegen oft das Gefühl, von den Vereinen nicht akzeptiert zu werden, sagt der Soziologe und Fan-Experte Gerd Dembowski.

Auch Dembowski befürchtet, dass sich nach den Ereignissen der vergangenen Wochen die „Repressionsspirale“ weiterdrehen wird. Dabei könnte man von der so friedlich verlaufenen Weltmeisterschaft lernen. Freundlichen Beamten würde man am Rande der Ligastadien nur selten begegnen, auch Anti-Konflikt-Teams seien selten im Einsatz. Am Ende der DFB-Maßnahmen könnte eine gänzlich neue Fankultur stehen. Satt Anfeuerungen wäre höflicher Applaus zu hören, Beschimpfungen gegnerischer Fans würden generell bestraft. Der Fußball hätte seine Problemfans entsorgt.

Theo Zwanziger sieht in den Gewaltexzessen ohnehin ein gesellschaftliches Problem und den Fußball nur bedingt in der Verantwortung: „Wir sind nicht die Reparaturwerkstatt des deutschen Volkes“, sagt er.